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Porträts Ralf Dahrendorf - Lord mit Hamburger Wurzeln Geboren wurde Ralf Dahrendorf am 1. Mai 1929 in Hamburg. Sein Vater, Gustav Dahrendorf, arbeitete zu dieser Zeit als Redakteur bei der sozialdemokratischen Zeitung "Hamburger Echo". Noch im Jahr 1932 war er Reichtagsabgeordneter der SPD geworden und musste nach dem Verbot der Partei im Juni 1933 als politisch Verfolgter untertauchen. Wenige Tage nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde er als Mitwisser verhaftet und vom Volksgerichtshof zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Trotz regimekritischer Haltung der Eltern wird Ralf Dahrendorf Mitglied des Jungvolks und ist wie die meisten Kinder begeistert von der deutschen Wehrmacht: "Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich nach Hause kam und triumphierend sagte: Wir haben jetzt Dänemark und Norwegen besetzt und dann bei den Eltern sofort spürte, dass es eine ganz andere Reaktion gab", so erzählt er in seiner Biografie "Über Grenzen". "Ich glaube, von dem Tag an war mir klar, dass es eine andere Perspektive gibt auf die Ereignisse, als die, die in der Schule gepredigt wurde". Er beginnt, sich politisch gegen das Regime zu engagieren und gerät immer stärker ins Visier der Gestapo. Wegen Beteiligung an einer illegalen Schülervereinigung wird er Ende 1944 im Konzentrationslager Schwetig/Oder inhaftiert -15 Jahre alt ist er zu dieser Zeit.Der Wunsch, frei zu seinVon der Verpflichtung jedes Einzelnen zum bürgerschaftlichen Engagement überzeugt, entschließt er sich wenige Tage nach der deutschen Kapitulation, beim Wiederaufbau zu helfen. Seinen ausgeprägten Freiheitswillen sieht er durch die Erfahrungen in der Nazi-Zeit begründet, wie er 2005 bei einem Interview im Deutschlandradio kundtut: "Das elementare Motiv, das sie bei mir gestärkt, vielleicht auch geweckt haben, ist das Motiv, nicht eingesperrt zu sein, frei zu sein, Möglichkeiten zu haben, nach eigenen Absichten, Wünschen, Lebensplänen zu wirken. Das kommt schon vor aller Demokratie. Das heißt, das ist das wirklich Elementare".Rasant nach ganz oben Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beginnt Ralf Dahrendorf an der Universität Hamburg Philosophie und klassische Philologie zu studieren. Seinen ersten Doktortitel erlangt er in der Hansestadt mit der Dissertation "Der Begriff des Gerechten im Denken von Karl Marx" - summa cum laude mit 23 Jahren. Den zweiten erhält er zwei Jahre später in England. "Viele Geschichten gingen um", erzählt der Soziologe Anthony Giddens im Rückblick auf Dahrendorfs erste Londoner Jahre von 1952. "wie schnell er seine Dissertation fertigstellte und was für eine ungewöhnliche Fähigkeit zur Arbeit er besaß". Aufgrund dieser Fähigkeit hat er am 1. Mai 1958, seinem 29. Geburtstag, bereits habilitiert und wird zum ordentlichen Professor für Soziologie in Hamburg und Tübingen.Bildung als Bürgerrecht Der Mitbegründer der Universität Konstanz aber belässt es nicht bei einer Hochschul-Karriere, sondern ist auch als Politiker, Journalist, Ökonom und Vordenker der Liberalen im öffentlichen Leben Europas aktiv. Bereits in den 60er-Jahren kämpft er für "Bildung als Bürgerrecht". Zu dieser Zeit waren es nicht Migranten und das Prekariat (Personenkreis mit ungesichertem Einkommen, unabhängig vom Bildungsstand), sondern vor allem Mädchen, Landkinder und Katholiken, die sich außerhalb des Bildungsradars befanden. Für die Positionen der APO (Außerparlamentarische Opposition der Studentenbewegung) jedoch kann er sich nicht begeistern: Während einer Diskussion mit deren Vordenker Rudi Dutschke setzt sich der habilitierte Soziologe entschieden davon ab.Europa ist Verantwortung Als Mitglied der FDP zieht er 1969 in den Bundestag, und ab 1970 ist er als Europakommissar in Brüssel tätig. Beträchtliches Aufsehen erregen im Sommer 1971 zwei unter dem Pseudonym Wieland Europa in der "Zeit" veröffentlichte Artikel, in denen Dahrendorf scharfe Kritik an den Europäischen Institutionen und an der Arbeitsweise der Berufs-Europäer übt. Und bis heute tritt der Mann mit der großen braunen Brille immer wieder mit seinen unbequemen Forderungen an die Öffentlichkeit: Im Magazin "Der Spiegel" fordert er im Herbst 2007 eine Migrantenquote und Mindestquote bildungsferner Schichten - mehr als ein Jahr vor dem katastrophalen Ergebnis der Integrationsstudie 2009, bei der die zweite und dritte Generation türkischer Einwanderer am schlechtesten abschnitt.Familienbande Sein Privatleben ....Würdiges GlückskindRalf Dahrendorf wird 1993 in den Adelsstand erhoben.1988 nahm der Professor die britische Staatsbürgerschaft an und wurde 1993 wegen seiner Verdienste um das Empire in den Adelsstand erhoben. Seitdem durfte sich Ralf Dahrendorf nicht nur Baron of Clare Market in the City of Westminster nennen, sondern war auch Mitglied des englischen Oberhauses.Ralf Dahrendorf, das sagt er selbst in seiner Biografie, war ein Glückskind auf der "Überholspur". Er erhielt unzählige Preise und Ehrungen, darunter das Große Bundesverdienstkreuz mit Schulterband und Stern, der Knight Commander of the Order of the British Empire, die Goethe Medaille und Ehrendoktorate von Universitäten in vierzehn Ländern. Vor allem wegen seines politischen und soziologischen Engagements war Lord Dahrendorf Europas Vorzeige-Würdenträger. Im Alter von 80 Jahren ist er am 17. Juni 2009 in seinem letzten Wohnort Köln nach schwerer Krankheit verstorben.Autorin/Autor: Moira LenzStand: 18.06.2009 13:30