Was immer da ausgestellt wird, es lohnt auf jeden Fall. Ich durfte Hans-Peter Wirsing vor einigen Jahren kennen lernen, als ich für die Rundschau ein Portrait schreiben sollte. Fand den Mann schlichtweg beeindruckend und beschloss am nächsten mutigen Morgen, mich beim Schreiben etwas aus dem Fester zu lehnen. Was nach zweieinhalb Stunden kennen lernen ziemlich in die Hose gehen kann...
Die Erlösung kam eine Woche später über die Glückstädter Redaktion. "Er sagt du hast Sansibar und Madagaskar verwechselt, sonst war es OK!" Und nicht gemeckert war genug gelobt...
Ich hänge den Test einfach mal an. Bitte nicht so verstehen, dass ich mich damit in den Vordergrund spielen will. Hans-Peter Wirsing war der Mann, der den Traum, den man(n) als kleiner Junge von der See hat, lebendig hält und mit absoluter handwerklicher Präzision in erwachsene Kunst überführt.
R.I.P.
Stefan
"Die Freiheit auf See, ist immer auch die Freiheit des Einzelnen."
Glückstadt (bt) Die Wegbeschreibung ist so schlicht wie vielsagend: "Kommen Sie vorbei, ich wohne am Hafen, das Haus hat einen grünen Giebel." Hans-Peter Wirsing könnte vermutlich überall wohnen - solange der Fluchtweg über die offene See vor dem Fenster liegt. Der eigentliche Weg zum Maler Hans-Peter Wirsing führt über das Meer, von allen Häfen dieser Welt, von denen er einen guten Teil gesehen hat, ist er dennoch seinem Geburtsort Glückstadt treu geblieben. Die niedrigen Balkendecken des alten Hauses erinnern eher an eine Kajüte, in den Regalen stapelt sich die Geschichte der Seefahrt, Schiffsmodelle geben Einblicke in die Feinheiten der Takelage - die See ist überall, auch in Glückstadt und vor allem in Hans-Peter Wirsing. "Man sagt ich kann sehr gut Wasser malen, westlich der Azoren habe ich einmal die Mechanik des Meeres entdeckt," spinnt Wirsing das Garn des alten Fahrensmannes und setzt Kaffee auf: "Vom Kilimanscharo - den habe ich mitgebracht als ich das letzte mal auf Madagaskar war."
Geschichten und Geschichte: "Madagaskar wurde ja damals gegen Helgoland getauscht. Auch eine schöne Insel, wenn die Tagestouristen weg sind." Für einen Seefahrer ist die Welt immer klein: "Auf Barbados habe ich einen Kümo-Kapitän aus Glückstadt getroffen, in der Karibik ist die Auftragslage besser, wer da hart arbeitet, hat noch Chancen."
Harte Arbeit gehört dazu, für Pfusch hat Wirsing nur Verachtung übrig: "Wenn zu viele Sachen in einem Bild nicht stimmen, kann ich sauer werden - schade um die schöne weiße Leinwand." Er hat sein Handwerk gelernt: der ausgebildete Gebrauchsgrafiker malte Landkarten, war Gerichtszeichner beim Baader-Meinhof Prozess und machte Werbung als die noch Reklame hieß und auf Papier entstand: "1981 habe ich mir dann geschworen, mich nur noch den hehren Künsten zu widmen." Was dabei entstand trägt noch immer den klaren sauberen Strich des Grafikprofis: "Am Anfang steht die Zeichnung, da geht kein Weg daran vorbei. Die Fähigkeit zu Zeichnen muss laufend trainiert werden, sonst rostet sie ein." Den Beweis liefern zahllose Skizzen, kleine Entwürfe für große Bilder, in Büchern, auf dem Tisch, auf dem Fußboden - überall. Die Themen fasst der herumliegende Katalog einer Ausstellung zusammen: Meistens Maritim. Von Postkarten-Idyllen und Shanty-Romantik findet sich dabei keine Spur. Ausgehend von den alten holländischen Meistern hat Wirsing seine eigene Bildersprache entwickelt: Wracks träumen von besseren Zeiten, Inseln schweben am Himmel, die kaiserliche Marine schlägt die Seeschlacht vor Helgoland in einer Suppenschüssel - "Salzwasser-Dali" hat ein Kritiker den Künstler genannt. Schönheit findet er im Verfall: Erst als Wrack zeigen Schiffe ihr Innenleben, am Ende der Reise wird die kunstvolle Konstruktion der Schiffbauer wieder sichtbar, die Idee wird von Wind und Wellen freigelegt. Hans-Peter Wirsing ist ein Träumer, harmlos ist er dabei nie: Immer ist da auch eine wehrhafte Lust am Provozieren, am Zurückschlagen. Gerade hat der Maler, der auch schon für Greenpeace an der Ruderpinne saß, eine Serie zum Pallas-Unglück fertig gestellt. "Ein Mitarbeiter des Schiffartsamtes musste ein Bild von mir auf Anordnung seines Dienstherren aus dem Büro entfernen" - Wirsing zeigt Wirkung. Auch der fast schon journalistische Ansatz stammt von den großen holländischen Vorbildern: "Vermeer war bei vielen Seeschlachten dabei, nur so konnte er die Details einfangen."
Ebenfalls holländischen Ursprungs ist eine fast vergessene Kunstform, die bei Wirsing eine zweite Blüte erlebt: Aus bemalten Kacheln, die glasiert und bei 1040 Grad gebrannt werden, entstehen zum Teil mehrere Quadratmeter große Bilder. Den Anstoß gab ein Fehlschlag: "In Portugal wird noch viel mit dieser Technik gearbeitet, und ich wollte eins meiner Bilder auf Kacheln übertragen lassen. Dass ging allerdings völlig in die Hose - die haben alle möglichen Ausschmückungen eingebaut." Nach langen Versuchen beherrscht Wirsing die Technik heute perfekt, die Ergebnisse zieren Büros, Gaststätten und Amtsstuben. Auftragsarbeit - Wirsing wäre allerdings nicht Wirsing, wenn er sich auf behagliche Kachelofen-Motive beschränken würde: Auch in das scheinbar harmlosen Material stichelt er kleine Widerhaken, die unter der glatten Oberfläche auf einen aufmerksamen Betrachter warten: "Da lasse ich mir nicht reinreden - eine Zensur findet nicht statt."
Fürs Foto macht sich Wirsing an die Arbeit: Wasserfarben, ein Schiffswrack, eine Insel, das Meer...Die gleichen Motive, der gleiche Traum, ein immer wiederkehrender Versuch der Sehnsucht auf den Meeresgrund zu gehen und das eine Bild zu malen, das alles sagt? "Kann sein." Langsam treibt sein Blick davon und verliert sich am gemalten Horizont: "Die Freiheit auf See, ist immer auch die Freiheit des Einzelnen."