Autor Thema: Beatles-Zeitreise und Puff-Journalismus  (Gelesen 814 mal)

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Jens Rusch

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Beatles-Zeitreise und Puff-Journalismus
« am: Mittwoch, 29. November 2006 - 18:22:20 »




[size=18]Henschel liest aus "Der dreizehnte Beatle" und seinem neuen Buch "Gossenreport"[/size]


Gerhard Henschel

Gerhard Henschel, geboren 1962, lebt als freier Schriftsteller bei Hamburg. Er veröffentlichte Satiren, Sachbücher und Romane, darunter „Kulturgeschichte der Mißverständnisse“ (mit Brigitte Kronauer und Eckhard Henscheid, 1998) und „Jahrhundert der Obszönität“ (mit Eckhard Henscheid, 2000). Bei Hoffmann und Campe erschiensein Roman „Der dreizehnte Beatle“ (2005).

Jens Rusch

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Re: Beatles-Zeitreise und Puff-Journalismus
« Antwort #1 am: Mittwoch, 29. November 2006 - 18:23:27 »
Gossenreport
Betriebsgeheimnisse der Bild-Zeitung
(Edition Tiamat)


Es war einmal, um das Jahr 1968 herum, eine Republik, deren Jugend gegen die Springerpresse aufbegehrte. Aus den historischen Gefechten ist das Konzernhaus siegreich und sogar gestärkt hervorgegangen: In der »Bild«-Zeitung, Springers ordinärstem Bumskontaktblatt, haben nach dem Niedergang der Apo nicht nur »Telefonsexschlampen« und »Titelmiezen«, sondern auch grüne Minister und ehedem linksgestrickte Ex-Juso-Chefs ihre Reize dargeboten. Sogar im Vatikan geht der Chefredakteur der europaweit meistgelesenen Fickgeschichtenzeitung mittlerweile ein und aus, und im Zölibat lebende Bischöfe geben sich, um an der Macht von »Bild« schmarotzen zu dürfen, zu Interviews her, die neben Puff-Annoncen erscheinen. »Bild« regiert. Daran wird auch dieses Buch nichts ändern. Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein Denkmal, für die Nachgeborenen, die erschaudernd zur Kenntnis nehmen werden, wie entsetzlich dreckig es in der Mediengosse des frühen 21. Jahrhunderts zugegangen ist.

Die Bild-Zeitung ist ein ehrloses Klatschblatt, eine üble Sexualkloake. Das jedoch ist nicht der Skandal. Der Skandal ist, daß Politiker und andere Spitzen der Gesellschaft mit diesem Blatt paktieren. In einer furiosen Abrechnung zeigt Gerhard Henschel, daß jeder sich selbst desavouiert, der mit diesem Blatt zusammenarbeitet. »Wer einen konkreten und aktuellen Beitrag zur Werte-Debatte lesen will, der sollte den brillanten Essay studieren, den der Schriftsteller Gerhard Henschel unter dem Titel "Von Tag zu Tag wird's schmutziger" über Bild als Kulturproblem veröffentlicht hat.« Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung

Leseprobe:
Den notgeilen Heimschläfern, die seine Zeitung lesen, hat Kai Diekmann selbst die vor Gericht vergossenen Tränen eines angeblichen Vergewaltigungsopfers auf der Titelseite dekantiert, eingeschenkt und serviert, mit den allerbesten Empfehlungen, die das Haus Springer in Gestalt eines Fotos und einer Riesenschlagzeile auf Seite 1 in Bild zu vergeben gehabt hat: »Katharina (29) weinte gestern vor Gericht - So hat Türck mich vergewaltigt«.
»Wer sein Privatleben privat lebt, bleibt privat«, behauptete Kai Diekmann in einem Interview mit der FAZ, nachdem er das angebliche Vergewaltigungsopfer Katharina B. gossentechnisch abgefrühstückt und ausgesaugt und aus der »Sex-Akte Türck« den letzten auflagesteigernden Samentropfen herausgelutscht hatte. Und da soll es noch Menschen geben, die Kai Diekmann die Hand reichen und seiner Zeitung ein Interview gewähren?
Aber hallo. Zwischen den XXL-Brüsten einer rasierten Transe und den Tränen eines angeblichen Vergewaltigungsopfers äußern sich Schauspielerinnen in Bild bereitwillig darüber, ob bei ihrer Scheidung der Altersunterschied eine Rolle gespielt habe, ob es einen anderen Mann in ihrem Leben gebe und ob ihre Brüste »echt« seien. Hier legt ganz Deutschland die Beichte ab: Mario Adorf über seine Seitensprünge, der Fernsehfritze Carlo von Tiedemann über seine Schönheitsoperation (»Diese Alterstitten quälten mein Ego«), der Altbundespräsident Richard von Weizsäcker über die Notwendigkeit einer stabilen Regierungskoalition, Horst Tappert über die Wassereinlagerungen in seinen Füßen und Jörg Immendorff über die Einfälle, die er in der Badewanne hat.
Hier stehen sie, statt indigniert den Hörer aufzulegen oder den Blutsaugern die Tür vor der Nase zuzupfeffern, Rede und Antwort: Strafverteidiger, Kardinäle, Minister, Bankiers, Künstler, Unternehmer, Kanzler und Bischöfe. Hier inserieren Supermarktketten, Autohersteller, Kaffeehändler, Arzneimittelproduzenten, Unternehmerverbände, Gewerkschaften und Bundestagsparteien.
Dass zwölf Millionen Schwachköpfe wissen möchten, wer nun wem »am drallen Allerwertesten« gefummelt habe, und dass es ein ehrloses Klatschblatt gibt, das solchen Wissensdurst stillt und die Ehekräche primitiver Schlagerfuzzis bekochlöffelt - damit könnte man leben. Aber dass eine Kulturnation bis hinauf in die höchsten Spitzen der Regierung, der Wirtschaft und der Erbverwalter Goethes mit diesem Zentralorgan der Unterhosenspionage paktiert, ist ein Skandal. In Bild gurgelt der Gully obszön vor sich hin. Wer in dieses Abflussrohr hinabsteigt, der hat seinen Geist aufgegeben. Wer Bild als Kolumnist oder als Interviewpartner dient, der ist ethisch gerichtet und hat seinen intellektuellen und moralischen Bankrott erklärt. Und wer, wie Gerhard Schröder es getan hat, einen ausländischen Staatsgast zum gemeinsamen Bild-Interview willkommen heißt, der sollte sich die Frage vorlegen, ob es nicht anständiger gewesen wäre, den Gast in einem gut geführten Bordell zu begrüßen als in Kai Diekmanns dreckiger Sexual-Nachrichtenkaschemme.
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Jens Rusch

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Re: Beatles-Zeitreise und Puff-Journalismus
« Antwort #2 am: Freitag, 01. Dezember 2006 - 16:42:11 »
Das ist heute !